Warum Homophobie und Sexismus im Fußball noch schwerer zu bekämpfen sind als Rassismus.
Schwarze, Schwule und Frauen – mit ihnen hat der Fußball ein Problem. Affenlaute begleiteten bei der Europameisterschaft das Auftreten schwarzer Spieler, Starstürmer Balotelli wurde mit Bananen beworfen. „Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind“, erklärte Italiens Spieler Antonio Cassano. Dass das deutsche Team frei von Schwulen ist, hatte DFB-Manager Oliver Bierhoff schon im Vorfeld klargestellt, als er sich gegen einen „Angriff“ im „Tatort“ wehrte. Dort hatte eine Figur behauptet, die halbe Elf einschließlich Trainerstab sei schwul. Anders als Schwule waren Frauen bei der EM erwünscht: Als staunendes Publikum für die sportlichen Männer und als „sexy Spielerfrauen“ („Bild“).
In der Rolle kompetenter Fußballexpertinnen im deutschen Fernsehen kamen sie aber nicht infrage, wie ZDF und DFB einhellig erklärten.
Rassistisch, homophob und sexistisch ist der Fußball – aber warum gerade er so sehr? Und kann sich das ändern? Gabriele Dietze, Professorin für Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität, geht diesen Fragen mit Blick auf die gesellschaftliche Funktion des Fußballspiels nach: Dem Fußball kommt eine herausragende Bedeutung in der Konstruktion der „Nation“ einerseits und in der Konstruktion von „Männlichkeit“ andererseits zu, erklärt Dietze in der Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift „Feministische Studien“.
Dass der Fußball als führender Mannschaftssport mit dem Selbstwertgefühl der Nation eng verbunden ist, wissen zumal die Deutschen. Das „Wunder von Bern“, der Gewinn des Weltmeistertitels 1954, erlaubte nach dem Holocaust unerwartet neuen kollektiven Stolz auf Deutschland. Die siegenden Fußballspieler verkörperten die Nation.
Allerdings mussten sie dafür bestimmte Bedingungen erfüllen: Sie mussten ihren Arbeits- und Wohnort in Deutschland haben. „Legionäre“ wie Günter Netzer oder Bernd Schuster, die für erheblich mehr Geld in Spanien spielten, galten als „geldgierig und unpatriotisch“. Im Misstrauen gegen die „Legionäre“ sieht Dietze eine Parallele zur Hetze Konservativer gegen Willy Brandt und Herbert Wehner, die den Krieg als Antifaschisten im Exil verbracht hatten und darum als „nicht patriotisch genug“ galten. Nicht zur Verkörperung der Nation im Fußball taugten auch schwarze Spieler wie Erwin Kostedde und Jimmy Hartwig. Als Nationalspieler wurden sie beschimpft, DFB-Präsident Hermann Neuberger schnitt Jimmy Hartwig öffentlich.
Bei der WM 1990 begannen sich die Deutschen für die „Legionäre“ zu öffnen: „Deutschland war frisch wiedervereinigt und Exportweltmeister“, „ein vorsichtiger Kosmopolitismus“ schien angebracht, schreibt Dietze. So konnten fünf Legionäre, nämlich Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Andreas Brehme, Lothar Matthäus und Thomas Berthold, Deutschland zum Titel schießen.
Deutsche mit Migrationshintergrund durften Deutschland in der Nationalelf aber erst repräsentieren, nachdem die Mannschaft im Laufe der neunziger Jahre in eine Krise geriet, das Publikum sich zunehmend über die deutschen „Rumpelfüßler“ beklagte. Der neue Bundestrainer, der Legionär Jürgen Klinsmann, griff erstmals auf den Talentpool von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zurück. Neben Lukas Podolski und Miroslaw Klose traten Patrick Owomoyela, David Odonkor und Gerald Asamoah auf.
Im Jahr 2010 wurde erstmals ein Kind türkischer Arbeitsmigranten in der Nationalelf zum Star: Mesut Özil. Mit ihm als Musterbeispiel für den „modellangepassten ,Anderen’“ ließ sich Bundeskanzlerin Merkel in der Kabine fotografieren. Noch in dersen Woche erklärte sie jedoch, die multikulturelle Gesellschaft sei „grandios gescheitert“: „Die immer wieder gelobte neue Vielfalt der Nationalmannschaft wurde zu einem Alibi für weiterhin stattfindende innenpolitische Xenophobie“, schreibt Dietze.
Rassismus und Xenophobie werden im Fußball inzwischen allerdings öffentlich bekämpft. Für Homophobie gilt das trotz mancher „Respect“-Erklärungen weit weniger, meint Dietze. Schwulsein scheint mit Fußball weiterhin nicht zu vereinbaren. Gerade das deutsche Team bekommt das zu spüren – eben wegen des Stilwechsels, der unter Trainer Klinsmann begann. Statt „unflexibler Hypermaskulinitäten“ wie Oliver Kahn oder Jürgen Kohler kommen zunehmend junge Spieler mit „eher feingliedrigem“ Körperbau zum Einsatz, zarte, jungenhafte „Metrosexuelle“, die elegant und leichtfüßig spielen. Eben das, die „Schönheit“ des deutschen Spiels aber beschwört auch den Verdacht der „Unmännlichkeit“ herauf – besonders dann, wenn der Erfolg ausbleibt: „Lieber Jogi Löw, machen Sie aus den wunderbaren Spielern keine Weicheier! Keine Jungs, die weinen“, erklärte „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner nach der jüngsten Niederlage gegen Italien.
Als „Schwulencombo“ bezeichnete Michael Becker, Berater des verletzten Spielers Michael Ballack, die Elf während der WM 2010. Talkmaster Harald Schmidt nannte Klinsmann eine „Schwabenschwuchtel“. Solche Unterstellungen sind gefährlich, darum reagieren Trainer und Team darauf immer scharf, schreibt Dietze. So widmet Philipp Lahm fast ein ganzes Kapitel seines Buches „Der feine Unterschied. Wie man Spitzenfußballer wird“ dem Dementi „Ich bin nicht schwul“. Arne Friedrichs Freundin schrieb einen offenen Brief in der „Bild“: Ihr Freund könne nicht schwul sein, denn er liebe ja sie.
Warum haben die Fußballspieler panische Angst, als schwul zu gelten? Gehen nicht große Teile der Gesellschaft mit dem Thema inzwischen gelassen um? „Homosexualität wird als Feminisierung begriffen“, erklärt Dietze. Feminines aber ist beim Fußball hochgradig unerwünscht. Denn dem Fußball kommt eine herausragende Rolle bei der kulturellen „Konstruktion von Männlichkeit“ zu: Um ein „Mann“ zu sein, reichen biologische Merkmale allein nicht aus. „Männlichkeit“ entsteht erst durch kulturelle Handlungen – und nur in der Abgrenzung von „Weiblichkeit“ und Frauen, mehr noch: in der Herrschaft über Frauen.
Wer als „Mann“ gelten darf, wird in Anerkennungsritualen der Männergruppe entschieden. Ein solches bedeutendes Ritual, ein „ernstes Spiel“ (Pierre Bourdieu), in dem der „Mannbarkeitsbeweis“ vor „ehrgleichen“ Männern geführt wird, ist der Fußball. Die Gruppe versichert sich dabei ihrer Männlichkeit auch, indem sie homosexuelle Männer, die angeblich die Kriterien „richtiger“ Maskulinität nicht erfüllen, ausgrenzt. Wer ein richtiger Mann sein will, muss dieser Logik nach homophob sein. Dass zwischen den Männern auf dem Platz zahlreiche Zärtlichkeiten ausgetauscht werden, gilt wegen der „starken Rahmung“ durch die „heteronormativen Maskulinitätsnormen“ als akzeptabel, wie Dietze schreibt.
Die Konstruktion von Männlichkeit über den Fußball kann demnach nur in der Grenzziehung gegenüber Frauen und Schwulen gelingen, weshalb Frauen und Schwule daran nicht als gleichwertige Akteurinnen und Akteure teilhaben können. Darum wird „Frauenfußball“ nicht als „richtiger Fußball“, als gleichwertige Disziplin betrachtet. Und das erklärt auch, warum zu viele Fußballexpertinnen im deutschen Fernsehen unerwünscht sind: Sie würden die Funktion des Fußballs – die Konstruktion von Männlichkeit über die Abgrenzung von Frauen – untergraben.
Ist der Fußball dazu verdammt, rassistisch, sexistisch und homophob zu bleiben? Die nationale Identität kann sich verändern, die Deutschen haben sich mehrheitlich daran gewöhnt, dass auch Spieler mit Migrationshintergrund sie in der Nationalelf repräsentieren – jedenfalls, wenn diese erfolgreich sind.
Auch eine „Modernisierung von Männlichkeit“ ist im Fußball möglich, wie Dietze mit Blick auf die leichtfüßigen, jungenhaften neuen Spielertypen feststellt. Diese mögliche „Modernisierung von Männlichkeit“ stößt jedoch an ihre Grenzen: „Die Männlichkeit selbst darf nicht herausgefordert werden.“ Darum haben Sexismus und Homophobie im Fußball einen systemischen Grund, der sich nicht leicht verändern lassen wird, erklärt Dietze: „Im Fußballuniversum steht Männlichkeit auf dem Spiel.“
Mehr zum Thema im Internet:
Gabriele Dietzes Aufsatz „Intersektionalität im nationalen Strafraum“ ist veröffentlicht unter www.feministische-studien.de