Der Rote Stern Berlin war erneut in Marseille unterwegs: für eine intensive Austauschreise voller sportlicher Aktionen, sozialer Projekte und inspirierender Begegnungen. Von Stadtführungen über queeren Sport bis hin zu Fahrradinitiativen – der Bericht zeigt, wie vielfältig und lebendig unsere Partnerschaften in Marseille sind.
Eine Delegation des Roten Stern Berlin 2012 e.V. machte sich – kofinanziert von Jugend für Europa – erneut auf den Weg nach Marseille, um sich unter der Mittelmeersonne mit langjährigen Partnern und neuen sportlichen Impulsen auszutauschen. Projektleiter Martin hatte für diese Begegnung ein besonderes Zuhause gewählt: das Casa Ammirati im charmanten Viertel Chutes Lavie. Im schattigen Innenhof mit Pool und Zitrusbäumen fanden die täglichen Reflexionsrunden statt – ein Ort, der sofort Ruhe und Nähe erzeugte. Gastgeberin Natalie nahm uns herzlich auf und verwöhnte uns mit Frühstück und einem traditionellen Aioli-Abendessen.
Neue Eindrücke in der Stadt
Gleich zu Beginn führte uns eine Stadtführung zum Schwerpunkt Migration vom Vieux Port über den berühmten Boulevard Canebière bis in das Hafenviertel Belsunce. Die Erzählungen unseres Guides über die Einwanderungsgeschichte – von phönizischen Anfängen bis zu den Chibanis – verbanden sich mit Gerüchen, Geräuschen und Begegnungen: Gewürzläden, der Markt von Noailles, tunesischer Thé à la menthe. Vor dem Bahnhof St. Charles endete die Tour, wo koloniale Statuen noch heute Diskussionen auslösen.
Sozialarbeit & Stadtentwicklung
Ein Besuch im Kulturzentrum La Friche bot tiefe Einblicke in die Bildungs- und Sozialarbeit auf dem Gelände der ehemaligen Tabakfabrik. Heute findet man dort Schauspielschule, Skateplatz, Bolzplatz, Partys und Ateliers – und zugleich Herausforderungen: steigende Mieten für Räume, die früher Jugendlichen offenstanden. Ein Spaziergang durch das multikulturelle Arbeiterviertel Belle de Mai führte uns anschließend zum Couvent, wo der Verein Juxtapo Kunst, Gartenarbeit und gemeinschaftliche Mahlzeiten miteinander verbindet.
Hospitationen ohne Ende
Am Abend besuchten wir unseren langjährigen Kooperationspartner Ufolep in Frais-Vallon, einem der vielen marginalisierten Viertel in den Quartiers Nord. Nach der Hospitation einer Tchoukball-Trainingseinheit konnten wir die Sportart selbst ausprobieren. Ebenso spannend war die Hospitation bei den Urban Sport Trucks von Addap13, die unseren Verein zum Kiezsportbus (Link setzen) inspiriert haben. Auch weil wir hier unseren eigenen Leuten bei der Arbeit zuschauen konnten, waren diese doch im Rahmen desselben Projekts für einen Praxiseinsatz beim Partner. Und auch der Besuch beim Frauenfußball-Team der Marseille Panthers im Belle de Mai verknüpfte spannende Beobachtungen mit erkenntnisreichen Gesprächen.
Ein Fluss, der keiner mehr sein sollte
Ein besonderes Erlebnis war der Ausflug mit Charlie Fox von unserer Partnerorganisation Hôtel du Nord: Auf der Suche nach dem Fluss Aygalade fanden wir ihn unter Gitterrosten und Beton, eingeengt zwischen Autobahn und Industrieflächen. Ausgerüstet mit Ganzkörperanzügen wateten wir durch einen stark belasteten Fluss – und staunten dennoch über einen Reiher, der sich vor einem kleinen Wasserfall erhob. Zwischen Plastik und Schrott zeigte sich ein Stück unerwarteter Natur. Nach einer Kletterpassage über einen Zaun standen wir plötzlich wieder mitten im städtischen Alltag und müssten ein witziges Bild abgegeben haben.
Begegnungen über Sprache hinaus
Während eine Gruppe im Fluss unterwegs war, wanderte die andere mit der Organisation JUST. Hier treffen Menschen mit psychischen Herausforderungen und unterschiedlichsten Hintergründen zusammen. Die Atmosphäre war außergewöhnlich warm und unterstützend. Gespräche über Sport – und über das Leben – entwickelten sich trotz Sprachbarrieren ganz selbstverständlich und schufen ein Gefühl echter Verbundenheit mit der Stadt und ihren Bewohner*innen.
Queerer Sport & große Gastfreundschaft
Ein weiterer Höhepunkt war das Sportfest von Marseille Rainbow Sports. einem jungen Verein, der Sport für alle anbietet und mit den Angeboten gleichsam auch gezielt queere Refugees adressiert. Schon der Apéro am Strand am Vorabend sorgte für gute Laune – Wein, Sand, Boule und Wind inklusive. Beim Sportfest selbst konnte jede*r sich ausprobieren: Volleyball, Tischtennis, Fußball, Indoor-Speerwerfen oder einfach am Buffet entspannen. Die Freude der Gastgeber*innen über unseren Besuch war spürbar; die Siegerehrung bildete einen fröhlichen Abschluss.
Urbaner Fußball & mobiler Alltag
Einige nutzten einen freien Moment, um ein Spiel von Olympique Marseille im Velodrome zu besuchen – ein Erlebnis, das lange nachhallt. Mit der Radsportgruppe des RSB standen anschließend Fahrradprojekte im Zentrum: Eine Tour mit unseren Freunden von Roue Svelt verband Regen, Hügel, E-Bikes, dichten Stadtverkehr und Gespräche über Mobilität, Sicherheit und soziale Teilhabe. Ein Besuch bei Cyclotopia – einem Projekt, das Fahrradfahren für Kinder und Frauen zugänglich macht – war für viele eine überraschende, eindrückliche Erfahrung.
Street-Art & Breakdance
Zum Abschluss besuchten wir die bei dem fantastischen Verein Zemen im Norden Marseilles, wo Angebote für Kinder und Jugendliche rar sind und der Nahverkehr zu wünschen übrig lässt. Nach einer energiegeladenen Breakdance-Stunde ging das abschließende Battle klar an die U13-Gruppe. Das gemeinsame Abendessen war ein warmes Beispiel gelebter Gastfreundschaft. Am letzten Tag streiften einige durch die Stadt und ihre Demonstrationen, andere zog es in die Natur und ans Meer. Wir verließen Marseille mit einer Fülle an Eindrücken: wichtige, schöne, irritierende – und vor allem bleibende. Die Begegnungen, Gespräche und sportlichen Momente werden uns noch lange begleiten.